Ob Künstler*innen und Ihre Werke voneinander getrennt werden müssen, ist eine in der Kunstgeschichte viel diskutierte Debatte. Lea Susemichel schaut aus feministischer Perspektive auf Begriffe wie "Werkautonomie" und "Objektivität".
„Ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes“, über Peter Handkes Bilderbuchbeispiel männlichen Größenwahns ist zuletzt viel gelästert worden. Die umstrittene Nobelpreisverleihung bot zudem willkommenen Anlass, um in Feuilletons und sozialen Medien wieder einmal leidenschaftlich über Sinn und Unsinn einer Trennung zwischen Werk und Künstler zu streiten. Eine Diskussion, die mit jedem einschlägigen Fall der MeToo-Ära verlässlich neu geführt wird: Dürfen wir noch Filme von Roman Polanski und Woody Allen ansehen oder über Cliff Huxtable in der Bill Cosby Show lachen? Oder zu Michael Jackson tanzen, nach den in der Doku „Leaving Neverland“ vorgebrachten Missbrauchsvorwürfen gegen ihn? War es in Ordnung, Kevin Spacey nachträglich aus dem Film „Alles Geld der Welt“ herauszuschneiden? Aber die Übermalung des Eugen Gomringer-Gedichts in Berlin – die ging doch nun wirklich zu weit, oder?
Großartige Wutrede zu „Picasshole“
In Hannah Gadsbys zu Recht gefeierten Netflix-Show „Nanette“ gibt es eine Passage über Picasso, in der sich die Comedian in einer großartigen Wutrede darüber auslässt, dass sie als Kunsthistorikerin den misogynen „Picasshole“ wegen seines brutalen Umgangs mit Mädchen und Frauen leidenschaftlich hasst (zwei von Picassos ehemaligen Partnerinnen verübten Suizid). Aber stets würde jede Kritik am Großmeister mit Verweis auf die historische Errungenschaft des Kubismus’ bagatellisiert. Was also lässt sich diesem Unterscheidungsversuch zwischen Werk und Künstler*in feministisch entgegensetzen? Und wäre es tatsächlich sinnvoll, diese Unterscheidung völlig aufzuheben?
In der Debatte über diese Trennung meist ausgespart bleibt die Tatsache, dass dieser Unterscheidung ein zutiefst männliches (und überdies westlich-weißes) Konzept von Werkautonomie zugrunde liegt. Ein Konzept, das zudem eng mit der Vorstellung eines Künstler*innengenies verknüpft ist, das einzig und alleine dem künftigen kunstgeschichtlichen Urteil Rechenschaft schuldig ist. Denn die abendländische Tradition des gottbegnadeten Genies, des „divino artista“, stellte diesen Künstlergott tatsächlich über das Gesetz. Der Gesetzesbruch, das Hinwegsetzen über gesellschaftliche Konventionen, galt sogar als Garant für genialische Pionierleistung. Künstlerische Kreativität und Originalität erfordere den Regelbruch und die Grenzüberschreitung geradezu.
Diese Exzeptionalität sollte dann auch das Werk selbst auszeichnen, das ahistorische Allgemeingültigkeit und Unabhängigkeit besitzen müsse, um kunstgeschichtliche Relevanz zu haben. So als gäbe es in Stein gemeißelte, unstrittige Kriterien für die objektive „Qualität eines Werkes“ und als wäre das Urteil über seine kunstgeschichtliche Relevanz nicht immer auch zeit- und kontextabhängig. Doch ungeachtet dessen wurde implizit verlangt, dass mit und in der Kunst subjektive Erfahrung sowie körperliche Existenz transzendiert werden sollten.
Ein Anspruch, der wiederum mit einer Abwertung von feministischer Kunst einhergeht. Da feministische Kunst bzw. Kunst von Frauen generell häufig die eigene Erfahrung oder auch den eigenen Körper in den Mittelpunkt stellt, wird deren radikale Subjektivität gerne als bloße „Befindlichkeitskunst“ abgewertet. Eine Beurteilung, die den ganzen Rattenschwanz eines männlichen Kulturbegriffs nach sich zieht, der auch die, durch die Cultural Studies angefochtene, Unterscheidung zwischen Trivialkultur und Hochkultur einschließt.
Wahrnehmung ist immer kontextabhängig
Doch zurück zur moralischen Verfehlung: Freilich wird heute wohl niemand behaupten, das männliche Künstlergenie könne auf der 5th Avenue jemanden erschießen (“I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose any voters“) – um ein berühmt-berüchtigtes Trump-Zitat aufzugreifen – und solle dann trotzdem ungehindert zur Eröffnung seiner Personale ins MoMa weiterziehen dürfen. Dass die Werkschau aber unabhängig von einem möglichen Mordprozess beurteilt werden sollte, dafür gibt es eindringliche Plädoyers. Und es sprechen auch einige gute Argumente für diese Sichtweise.
Tatsächlich ist die Freiheit der Kunst eine wichtige Errungenschaft, die nicht zuletzt auch vor staatlicher Willkür schützen und künstlerische Fundamentalkritik allem und jedem gegenüber ermöglichen soll. Allerdings hat die Autonomiedefinition der gegenwärtigen Diskurse mit diesem Freiheitsverständnis oft wenig zu tun. Das Verständnis von Werkautonomie, wie es heute oft kursiert, verdankt sich vielmehr dem postmodernen Postulat vom „Tod des Autors“. Das besagt, dass dieser ein Werk zwar in die Welt setze, dieses sich aber völlig von ihm emanzipiere und gänzlich unabhängig seine Wirkung entfalte.
Diese Emanzipationsbehauptung ist jedoch aus mindestens zwei Gründen falsch. Erstens ist es angesichts der Celebrity-Kultur des Kunstbetriebs wenig glaubwürdig, plötzlich die Fixierung auf eine Person anzuprangern. Zweitens, und das ist meiner Ansicht nach der wichtigere Punkt, wird unterschlagen, dass der vielzitierte Tod des Autors mit einer gewaltigen Stärkung der Rezeptionsseite einhergeht. Nicht mehr der Ursprung entscheidet über die Wirkung des Werkes, sondern seine Rezeption. Die aber ist eben niemals unabhängig davon, was über den Urheber bekannt ist. Das ästhetische Urteil ist vom moralischen nicht säuberlich zu trennen. Unweigerlich beeinflusst das Wissen darüber, ob ein Künstler auf der Straße gerade jemanden erschossen hat – um im Beispiel zu bleiben –, die Art, wie seine Arbeiten wahrgenommen werden.
Dessen ungeachtet setzt sich in der Idee Kunstrezeption, die gefälligst säuberlich zwischen den Sphären zu unterscheiden hat (also den Tannhäuser trotz Wagners Antisemitismus zu genießen weiß), eine männliche Theorietradition fort, die Autonomie und Unabhängigkeit feiert und dabei zu einem fast auratischen Verständnis von Werkautonomie zurückkehrt.
Wie gesagt: Es gibt gute Gründe, Künstler*in und Werk nicht in eins fallen zu lassen. Ebenso gute dafür, einem Kunstwerk nicht jeden Gesetzesbruch des/der Künstler*in anzulasten, schließlich träfe das kunstschaffende Regimekritiker*innen wie Parksünder*innen. Auch ein Boykott sollte in jedem Einzelfall gut abgewogen werden. Denn was ist mit den Co-Darsteller*innen gefallener Film- und Fernsehstars, die unweigerlich in Sippenhaft genommen wären, wenn Produktionen boykottiert werden?
Aber es gibt eben auch immer wieder gute Gründe, Künstler*innen die Kanonisierung und Anerkennung tatsächlich zu verweigern. Otto Mühls Aschebilder sind so ein Fall. Sie bestehen aus den Tagebüchern seiner Opfer, die Mühl verbrannt hat, um Beweise gegen sich zu vernichten. Diese Bilder hingen lange ohne jede kritische Kommentierung im Wiener MAK und Mumok.
Doch auch abseits solcher Skandalfälle schadet es nicht, die heiligen Kühe Hochkultur und Werkautonomie feministisch aufzuscheuchen. „High art, my arse“, um es mit Hannah Gadsby zu sagen.